Donnerstag, 24. November 2005

Ich liebe U-Bahn-fahren

[24.11.2005, Do 9.10 – U2 Pankow]

Es ist morgens nach 9 Uhr. Die U-Bahn ist pünktlich, ich steige ein. Das U-Bahn Publikum um diese Zeit ist bereits ein anderes als zwischen 7 und 8. Es ist weniger hektisch in der Bahn. Am Zoo steigt die "Musikmafia" ein. Nichts gegen Straßenmusik, aber die Kombination aus einem schiefen Akkordeon und einem Kind als Geldeintreiber mit Pappbecher kann ich dann doch nicht so recht gutheißen. Es quietscht und geigt, die Leute schauen genervt, zwei Touristen aus Süddeutschland geben ein paar Cent. Eine Frau der Marke unsexy liest angestrengt in einem Physikbuch und bestätigt so leider ein Klischee. Riesige neonfarbene Manschetten schützen die Hose vor der schmierigen Fahrradkette. Ihr Fahrrad hat sie im Waggon angeschlossen obwohl es nicht umzufallen droht. Kurz überlege ich, inwieweit wir schon derart amerikanische Verhältnisse haben, dass man seine Wertsachen schon in der U-Bahn anschließen muss. Eine andere erwachsene Frau liest in einem dieser billigen Romanhefte das mit dem Namen „Kinder-Herz“ eher an ein medizinisches Fachbuch erinnert. Ich will Menschen ungern in eine Schublade stecken, aber am Rucksack der Frau baumeln 10 kleine Plüschtiere.
Sonst ist heute nicht viel los, ich bin am Ziel der Reise, Bahnhof Zoo. Schnell haste ich hoch zur S-Bahn, weiter gehts zur Friedrichstraße...

Zurückbleiben bitte

[23.11.2005, Mi 9.00 – U2 Pankow]

Das interessate am U-Bahn-fahren sind ja die Menschen. Eine Frau, tätowiert und relativ sicher der Trinkerszene zuzuordnen steigt ein. Das verspricht Spaß. Sie spricht ihre Sitznachbarin auf ihr ungewöhnliches Muster auf den Beinen an:“ Ist das auf der Strumpfhose oder n’ Tatoo?“ Die Frau ist verdutzt, normalerweise spricht man in einer Berliner U-Bahn höchst selten miteinander. Sie antwortet dann aber doch freundlich:“ Das ist die Strumpfhose“. „Geil“ findet die Tatoofrau und erkundigt sich was so was denn wohl kostet. Die Strumpfhosenfrau sagt etwas von 16 Euros, die Tatoofrau schluckt und sagt: „Dit is janz schön viel – Ich habe ja nur Hartz IV, dat sind 345 Euro“. Die andere Frau lächelt mit einer Mischung aus Mitleid und Überlegenheit und entgegnet, dass es zumindest billiger ist als all die Tatoos. Irgendwie finde ich, dass sie recht hat. Ich wette, dass die Trinkerfrau am Zoologischen Garten aussteigt. Stimmt auch. Nachdem sie mit einem Mann in der Bahn noch dubiose 40 Euro für was auch immer ausgemacht hat, verschwindet sie am Zoo im Gewühl der Menschenmenge. Nun setzen sich prompt vier baseballbemützte Zellhaufen (Danke an Harald Schmidt für diesen Ausdruck) auf die Bank gegenüber. Es scheint einen Anführer zu geben. Er, mit versteinertem Gesicht und drei blonde Jungens die anscheinend zu ihm aufsehen. Sie reden laut in einer Sprache von der ich noch immer nicht sicher bin wer sie erfunden hat. Ich frage mich ob es arrogant ist zu überlegen wie diese Jungs wohl an ihre gewöhnungsbedürftigen und doch nicht ganz billigen Markenklamotten gekommen sind. Und wer ihnen die ipods (das sind diese neumodischen Musikplayer aus Amerika) bezahlt oder überlassen hat. Vielleicht sind es auch nur vier Studenten in einer Sozialstudie. Wer weiß. Es wird nicht viel besser an diesem Tag Ein Mann mit Bierflasche steigt ein, es stinkt fast schon klischeehaft nach Alkohol. Er hat einen Freund mitgebracht – Saufkumpane sagt man da heute zu – Auf dessen T-Shirt lesen wir den alten Goethe Spruch „Schade, dass man Bier nicht fi*ken kann“. Angetan von solch hoher Poesie unterhalten sich die beiden über ihre Ausflüge ins Paradies, Ausflüge in ein Schlaraffenland voll mit leiblichen Genüssen und verbotenen Reizen. Ja, es geht um die Ausflüge zu Getränke Hoffmann die hier minutiös geplant und vorbereitet werden. Kurz überlege ich ob was schiefläuft in der Gesellschaft wenn es immer mehr Leuten dreckig geht. Aber zwischen all den Menschen jetzt soziologische Gedanken stricken? Nein. Für heute endet mein Ausflug in den Untergrund, ich steige ich aus und die U-Bahn wird mit dem typischen Iiiiihhhhh-Quietschen in den Tunnel gesogen und verschwindet am Horizont.

Warum das hier?

Manche nennen sie die Kunst des Alltags, andere halten sie für völlig bedeutungslos. Es geht um die kleinen alltäglichen Geschichten die sich in unseren öffentlichen Verkehrsmitteln zutragen. Wenn man etwas genauer hinschaut, entdeckt man unterschiedlichste Lebenswege, Dramatisches und Fröhliches, neue Sprachvariationen und verschiedenste Menschen auf einem Raum. Es ist das fast normale Leben was sich in U- und S-Bahn jeden Tag abspielt, ein Leben was der Autofahrer gar nicht kennen wird. Auf keinem Raum treffen so schnell und so kompakt Menschen unter-schiedlichster Herkunft, Sprache, Bildung aufeinander. Es ist für das „soziale Ich“ eine enorme Stresssituation, ständig wechseln die Menschen, die Geräusche, die Gerüche. Ich habe versucht meine Fahrten mit eben diesen Verkehrsmitteln zu dokumentieren. Es geht hierbei nicht um hohe publizistische Kunst, sondern um einfache Zustandsbeschreibungen, eventuell hier und da verpackt in Ironie und Satire. Immer aber realitätsnah, manchmal trocken und manchmal auf genau so langweilig wie es eben in einer U-Bahn aussieht. Letztendlich ist es (nur) das, was täglich um mich herum passiert. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen.

tunnelblick

ein u-bahn tagebuch aus berlin

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